Geschichten der Zillertaler Tradition
Aus dem Felsenkeller
Auf dem Enzianhof am Gerlosberg wird seit vier Generationen feinster Speck produziert. Mit den wichtigsten Zutaten: Tradition, Zeit und Liebe.
Irgendwann hatte es sich auch in diesem traditionsbewussten Haus einmal ausgeseppelt. Und so ließ Sepp (umgangssprachlich für Josef) Kerschdorfer, Sohn von Sepp und Enkel von Sepp senior, seinen Sohn vor 16 Jahren auf den Namen Alexander taufen. Was aber nicht verhinderte, dass sich der junge Mann so wie sein Papa, Opa und Uropa für den Metzgerberuf entschied. Blut ist manchmal eben sogar dicker als geweihtes Wasser, vor allem wenn darin offenbar das Speck-Gen enthalten ist. Seit siebzig Jahren verarbeiten die Kerschdorfers in 1.270 Meter Höhe auf dem Gerlosberg in Zell am Ziller Fleisch – mit Alexander nun bereits in vierter Generation: „Sie wollten ihm alles andere beibringen“, lächelt Opa Sepp, „aber er hat immer bei mir mitgearbeitet und eines Tages gesagt: ,Ich weiß jetzt, dass ich Metzger lerne, das kann ich eh schon halb.‘“ Und damit muss man sich um eines keine Sorgen machen: dass es diesen weit über die Grenzen des Zillertals hinaus bekannten, sagenhaft guten Speck einmal nicht mehr geben wird. Denn Alexander erlernt seinen Beruf in derselben Metzgerei in Kaltenbach, in der schon die drei Sepps vor ihm ihre Lehre absolvierten. Und er schaut, wie einst sein Vater, dem Opa genau auf die Finger.
„Es ist wirklich interessant, wie sich Geschichte wiederholt“, erzählt Seniorchef Sepp Kerschdorfer. Nicht die schlechteste Art, um zu lernen. Denn auch wenn der Enzianhof von heute nicht mehr mit dem vergleichbar ist, den Sepp Kerschdorfer I. vor fast achtzig Jahren mit ein paar Kühen und Schweinen übernommen hatte, hat sich eines auf dem Gerlosberg nicht verändert: „Wir verarbeiten unser Fleisch seit vierzig Jahren auf dieselbe Art. Das ist unser Markenzeichen, so halten wir es für richtig, und davon gehen wir auch nicht ab“, sagt Seniorchef Sepp. Noch immer kommt der Großteil des Fleisches aus eigener Landwirtschaft, die Tiere werden artgerecht gehalten und großgezogen. Und im Zuge der Verarbeitung kommt dann in der Räucherkammer die wertvollste Zutat zum Einsatz: die Zeit für Reifung. Acht bis zehn Wochen wird der Schinken in Meersalz und sorgsam ausgewählten Gewürzen von Wacholder über Kümmel und Majoran bis Koriander eingelegt.
Nach Wasserbad und Trocknung wird er „kalt“, über einer kleinen Glut, bei einer Raumtemperatur von 20 bis 23 Grad, geräuchert. Dabei kommen Wacholdersträucher oder Krabatn, wie sie im Zillertal heißen, sowie Buchenholzspäne zum Einsatz, ehe der Schinken noch einmal ein bis zwei Wochen luftgetrocknet wird. Während die Verarbeitung stets dieselbe blieb, hat sich sonst ziemlich viel verändert in diesem hoch gelegenen Paradies. Der 2008 verstorbene Gründer der Familiendynastie erzeugte seine Produkte nämlich noch als Tausch- und Zahlungsmittel. Da nahm etwa der Schuster einen Schinken mit, und Sepp Kerschdorfer konnte sich dafür ein Paar neuer Schuhe holen, in der Brauerei gab es Bier im Tausch für Fleisch und vom Bäcker Mehl: „Das war damals so üblich – wir hatten Fleisch, Eier und Käse, und da wurde eben mit Naturalien bezahlt“, erzählt der jetzige Seniorchef über die Gepfogenheiten zu der Zeit, in der sein Vater nach dem Krieg mit der intensiven Bewirtschaftung des Enzianhofs begann.
Später wurde der in Naturstein geschlagene Felsenkeller der erste kleine Verkaufsraum, ein Vorläufer der Hofläden sozusagen. All die Jahrzehnte über tüftelte Sepp I. an Rezepturen und Verfeinerungen für seine Schinken und Würste, und bis heute kommen diese Rezepte zum Einsatz: „Er wäre heute sicher sehr stolz, wenn er noch sehen könnte, wie dieses Handwerk von uns in seinem Sinne weiter betrieben wird“, sagt Josef Kerschdorfer. So stolz ist er auf seinen Opa, der den kleinen Bergbauernhof mit viel Fleiß und den richtigen Visionen stetig erweitert, ein Gasthaus eröffnet und eine Straße zum Enzianhof initiiert hat, der anfangs nur mit einer Gondel und zu Fuß erreichbar gewesen war.
Seine Nachkommen konnten darauf auf- und es ausbauen: „Uns war bei allen Veränderungen und Baumaßnahmen immer wichtig, dass der ursprüngliche Charme des Hauses erhalten bleibt“, sagt Josef Kerschdorfer. Eines Hauses, das auch heute noch vier Generationen beherbergt. „Da wohnt meine 88-jährige Mutter genauso wie mein 16-jähriger Enkel. Was wir tun, machen wir mit Liebe und Freude, und deshalb bin ich sicher, dass es hier heroben auf jeden Fall noch die eine oder andere Generation weiter geben wird“, ist Sepp Kerschdorfer überzeugt. Das Familiäre hat hier einen hohen Stellenwert – und bezieht in einem speziellen Sonderfall sogar das liebe Vieh mit ein. Dass Kühe, Ochsen und Hängebauchschweine herumlaufen, ist für die Kerschdorfers Alltag und erfreut die Gäste. Aber eine ragt mit ihrem Status aus der Masse heraus: „Unser vierzehnjähriges Schwein Paula ist im ganzen Zillertal bekannt und ist für uns fast schon ein Familienmitglied geworden“, schwärmt Josef Kerschdorfer. Paula grunzt und genießt ihr beschauliches Dasein hier am Enzianhof, wo sie es sich gern zwischen den Hausgästen auf der Sonnenterrasse gemütlich macht. Ein saugutes Leben.
Bild: Bernhard Huber und Text: Wolfgang M. Gran
Zillertal Magazin Ausgabe Winter 2020/21
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